Stellungnahme des VBE NRW zum Kernlehrplan für das Wahlpflichtfach „Wirtschaft und Arbeitswelt“
Der VBE NRW nimmt zu folgenden Aspekten Stellung:
Vorweg ist anzumerken, dass die Namensgebung des Vorhabens auf den ersten Seiten des Entwurfes nicht einheitlich scheint. Das „Wahlpflichtfach Wirtschaft und Arbeitswelt“, wie im Titel benannt, wird in dem Kapitel der Aufgaben und Ziele als „Lernbereich Wirtschaft und Arbeitswelt“ (als Nachfolger des Lernbereichs „Arbeitslehre“) bezeichnet, welcher aus den drei Fächern „Wirtschaft“, „Hauswirtschaft“ und „Technik“ besteht und als Wahlpflichtfach wählbar ist.
Diese drei Fächer verfolgen unterschiedliche Aufgaben und Ziele, welche jedoch den übergeordneten Aufgaben und Zielsetzungen des Lernbereiches untergeordnet sind. Zu den primären Aufgaben gehört die Beförderung ökonomischer, haushaltsbezogener, technischer und informationstechnologischer Grundbildung aus der Perspektive des
Begriffes der Arbeit. Die Arbeitswelt könne so „erfahrbar und durchschaubar“ werden.
Das Fach Wirtschaft soll analog zu den Aufgaben und Zielen des Faches somit ökonomische Grundbildung befördern, um mündiges Handeln und das Entscheiden in relevanten Situationen zu gewährleisten. Unter der Prämisse einer zunehmend ökonomisierten Lebenswelt soll Selbst- und Mitbestimmung in politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontexten ermöglicht werden. Auch demokratische Verfahren und ethische Grundsätze seien von Relevanz. Multiperspektivisch sollen Fragen nach Nachhaltigkeit, Ökologie und Digitalisierung aufgegriffen werden. Zukunftsorientierung steht im Mittelpunkt, um die Wirtschaftsordnung in Einklang mit den demokratischen Werten zu entwerfen, so heißt es abschließend.
Aus Sicht des VBE erschließt es sich aber nicht, warum die Querschnittsaufgaben im Fach Wirtschaft nicht insgesamt gewürdigt werden. Es fehlen der interkulturelle Ansatz sowie die geschlechtersensible Bildung. Gerade Letzteres verblüfft, da vom Gender-Paygap bis hin zur Frauenquote viele Themen im Bereich geschlechtersensible Bildung eine ökonomische Perspektive implizieren. Weiterhin drängt sich der Verdacht auf, dass Ökonomie eben nicht interkulturell und international begriffen wird – obwohl die Globalisierung seit Jahrzehnten fortschreitet.
Dafür findet sich in den Aufgaben und Zielen des Faches Hauswirtschaft die explizite Erwähnung von Gender-Aspekten etwa im Kontext von Versorgungs-, Pflege- und Erziehungsleistungen von Haushalten. Die Beschreibung der Zielsetzungen hält der VBE für angemessen.
Gleiches gilt für die Aufgaben und Ziele für das Wahlpflichtfach Technik, wo ebenfalls eine Beförderung reflektierender Entscheidungs- und Handlungskompetenz betont wird. Neben den Inhalten wie „Stoff“, „Energie“ und „Information“ steht im WP-Fach Technik die Auswahl und Verwendung technischer Verfahren im Mittelpunkt. Nachhaltigkeit, Zukunftsorientierung und Gender prägen die Lernvorhaben.
Im Vergleich zum alten Lehrplan für das Fach Arbeitslehre muss angemerkt werden, dass der dortige Begriff der „Perspektive“, welche die einzelnen Fächer gewähren, die Ausrichtung des Vorhabens besser abbildet.
In der Gesamtschau der „Aufgaben und Ziele“ für die Wahlpflichtfächer im Bereich „Wirtschaft und Arbeitswelt“ muss der VBE feststellen: Gender-Aspekte spielen in der Versorgung, Pflege und Erziehung im häuslichen Bereich eine Rolle, in der Wirtschaftswelt aber nicht. Daher hält es der VBE für unbedingt notwendig, die entsprechenden Anpassungen in
den Aufgaben und Zielen für das Fach „Wirtschaft“ vorzunehmen, um diesen absolut unzeitgemäßen Eindruck zu verhindern.
Auf der Seite 10 folgt dann die Auflistung der Querschnittsaufgaben für alle drei Fächer. Gleichsam wird, parallel zu anderen Lehrplänen, die Bedeutung von Sprache hervorgehoben, Interdisziplinarität beschrieben und die weitere Ausgestaltung der Lehrpläne vor Ort gefordert. Neben der uneinheitlichen Implementierung der Querschnittsaufgaben, welche sich besonders in der Ausgestaltung der Aufgaben und Ziele des Faches Wirtschaft zeigt, wird deutlich, dass der Bereich der Sprache in den Aufgaben und Zielen der einzelnen Fachperspektiven nur indirekt wiederzufinden ist. Aus Sicht des VBE wäre es sinnvoll, dass in den Aufgaben und Zielen der einzelnen Fächer einige Sätze zur Erweiterung kommunikativer und sprachlicher Kompetenzen eingefügt werden.
Das Kapitel Kompetenzbereiche, Inhaltsfelder und Kompetenzerwartungen gliedert sich entsprechend in weitere Inhalte der drei Fächer:
Für das Fach Wirtschaft soll ökonomische Mündigkeit durch Erweiterungen der Sach-, Handlungs-, Urteils- und Methodenkompetenz gestärkt werden. Jene Kompetenzbereiche greifen auch die Aspekte der Digitalisierung auf. Die Inhaltsfelder erstrecken sich über das Grundwissen zu Märkten, Betriebswirtschaft, den Wandel in der Arbeitswelt, finanziellem Handeln auf Verbraucherebene und nachhaltigem ökonomischen Handeln auf regionaler Ebene. In den übergeordneten Kompetenzerwartungen finden sich nun
doch zeitgemäße Themen wie „Globalisierung“. Die konkretisierten Kompetenzerwartungen implizieren eine stark zeitgemäße Ausrichtung, auch wenn, wie im Vorfeld erläutert, Aspekte der Genderspezifik nicht vorhanden
sind. Dies bleibt in Zeiten des Girls‘ und Boys‘ Days eine ungenutzte Chance. Es bleibt unverständlich, warum der Gender-Care-Gap im Fach Hauswirtschaft behandelt wird, aber der Gender-Pay-Gap im Fach Wirtschaft fehlt. Diese Unvollständigkeit zeigt sich ebenfalls in dem Umstand, dass die avisierten Erweiterungen der Methoden- und Handlungskompetenz auf der Ebene der konkretisierten Kompetenzerwartungen gar nicht benannt werden. In beiden Kompetenzbereichen werden in den übergeordneten Kompetenzerwartungen hingegen wichtige Verfahren und Techniken beschrieben, welche aus Sicht des VBE aber ebenfalls einer Konkretisierung bedürfen.
Für die Fächer Hauswirtschaft und Technik gilt im Prinzip Ähnliches. Von der Globalisierung bis zur Digitalisierung werden zeitgemäße Themen noch stärker besetzt – dies begrüßt der VBE. Auf eine dezidierte Ausarbeitung der konkreten Kompetenzerwartungen der Handlungs- und Methodenkompetenz wird aber verzichtet, allerdings ist der bloße Verweis auf Internetrecherche in den übergeordneten Kompetenzerwartungen nicht ausreichend. Der VBE kritisiert, dass die konkrete Ausgestaltung zweier Kompetenzbereiche (von insgesamt vier) komplett den Schulen überlassen wird. Hier sind die Details des Entwurfes nicht ausreichend ausgearbeitet worden.
Letztlich kritisiert der VBE, dass die Ausarbeitung der Querschnittsaufgaben wie der Beförderung der Sprach- und Kommunikationskompetenz sowie die Darstellung der Interdisziplinarität zu anderen Schulfächern sehr knapp bemessen sind. Der Gesamteindruck verbleibt, dass der vorgelegte Entwurf einige deutliche Lücken offenbart, aber grundsätzlich einen inhaltlich zielführenden Modernisierungsversuch darstellt.
Stefan Behlau
Landesvorsitzender VBE NRW
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